Um dem in astronomischen Dingen unbedarften Leser das Verständnis zu erleichtern, seien hier vorab einige kurze, allgemein gehaltene und einfach formulierte Erläuterungen zum Sarsoszyklus und zu ein paar grundsätzlichen Finsternisbedingungen vorangestellt. Freilich auch nur soweit und so gut ich diese verstanden zu haben glaube und sie mir an dieser einführenden Stelle vom Umfang her nötig erscheinen.
Wer sich umfassender über Finsternisperioden informieren möchte, vor allem den Mond betreffend, dem empfehle ich wärmstens die Internetseite “www.Mondfinsternis.net” von Stefan Krause. Dort unter der Rubrik “Mondfinsternis spezial” im Abschnitt “Vertiefende Beiträge” finden sich verständlich gehaltene, dennoch eingehende Erläuterungen zu den verschiedenen mondbezogenen Finsterniszyklen, darunter auch zum Saros. Meine nachstehenden Ausführungen wie auch Erläuterungen zu finsternisrelevanten Zusammenhängen in den anderen Kapiteln auf dieser Webseite stützen sich, neben weiteren Quellen, auch auf die Seite von Stefan Krause.
Ebenfalls eine gute, Sonnenfinsternisse einbeziehende, inhaltlich schon anspruchsvolle Seite mit Erläuterungen und astronomischen Berechnungen ist die des Schweizers Siegfried Wetzel “www.swetzel.ch“, auf der sich unter der Rubrik: “Astronomie” ebenfalls mehrere Kapitel zur Thematik der Finsternisse finden.1
Zum Verständnis des rund achtzehn Jahre dauernden Saroszyklus wie auch zum Verständnis prähistorischer Möglichkeiten seiner Wahrnehmung sind zwei wesentliche astronomische Komponenten zu unterscheiden. Erste Komponente ist die zeitliche Übereinstimmung von 223 synodischen mit 242 drakonitischen Mondmonaten. Die Länge des synodischen Monats beträgt 29,530589 Tage. Danach zeigt der Mond wieder dieselbe Phase, weil er, von der Erde gesehen, wieder dieselbe Stellung zur Sonne einnimmt. Dieser Zeitkreis des Mondes wird auch als Lunation bezeichnet.
Die Bezeichnung des drakonitischen Monats leitet sich von lat. draco = Drache ab. Der drakonitische Monat dauert 27,21222 Tage und bezeichnet den Monddurchgang durch denselben der zwei Schnittpunkte seiner Bahn um die Erde mit der Ekliptik, also der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Die zwei Schnittpunkte ergeben sich, weil die Bahn des Mondes um die Erde leicht geneigt ist gegenüber der Umlaufebene der Erde um die Sonne. Ginge diese Neigung gegen Null, würde der Mond in der Erdumlaufebene um die Sonne rotieren. Dann ergäbe sich bei jedem Vollmond eine totale Mondfinsternis und bei jedem Neumond eine totale Sonnenfinsternis.
Die deutlich kürzere Dauer des drakonitischen gegenüber dem synodischen Monat basiert zum einen auf der zum Mondlauf gegenläufigen Drehung der Mondknotenlinie. Gewissermaßen kommen also die Knoten dem Mond bei jedem Umlauf um die Erde entgegen. Zum anderen muss der Mond bei seinem synodischen Umlauf immer noch ein zusätzliches Stück auf seiner Bahn ausgleichen. Die Erde rückt während eines Mondumlaufs auf ihrer Bahn um die Sonne ein gutes Stück weiter. Soll der Mond also von der Erde betrachtet erneut dieselbe Phase zeigen, muss er die sich daraus ergebende Winkeldifferenz zur Sonne durch entsprechenden Mehrweg um die Erde ausgleichen.
Den Saroszyklus kennzeichnet, wie gesagt, die recht genaue Annäherung von 223 synodischen Monaten mit einer Dauer von rund 6585,32 Tagen an 242 drakonitische Monate mit rund 6585,36 Tagen. Der Mond hat also wieder dieselbe Phase, beispielsweise Voll- oder Neumond, und er geht fast zur selben Zeit wieder durch denselben Mondbahnknoten.
Wie jeder weiß, müssen Sonne, Mond und Erde eine Linie miteinander bilden, damit eine Finsternis zustande kommen kann. Das aber ist nur der Fall, wenn die gedachte Verbindungslinie zwischen den beiden Mondbahnknoten (Knotenlinie) in ihrer Verlängerung auf die Mitten von Sonne und Erde weist. Diese Konstellation ergibt sich üblicherweise nur zweimal pro Jahr. Gelegentlich kommt sie auch dreimal binnen Jahresfrist zustande. Das sind die seltenen Jahre mit analog drei Finsternisfenstern, in denen bis zu max. sieben Finsternisse weltweit beobachtet werden können. Außerhalb dieser zwei-, maximal dreifach pro Jahr eintretenden Konstellation weist die Knotenlinie in alle möglichen anderen Richtungen. Der Mond befindet sich daher bei seinen halbmonatlichen Stellungen als Voll- bzw. Neumond stets ober- oder unterhalb der Erdumlaufebene um die Sonne. Sein Schatten kann dann weder die Erdoberfläche treffen, noch er selbst durch den Kegel des Erdschattens wandern.
Womit wir bei der zweiten Komponente wären, die für das Verständnis des Saroszyklus von wesentlicher Bedeutung ist, dem sogenannten ‘Finsternisjahr’. Das Finsternisjahr beschreibt die Zeitabstände, zu denen die Mondknotenlinie Richtung Sonne und Erde ausgerichtet ist, wobei von der Erde aus gesehen derselbe der zwei Mondbahnknoten wieder Richtung Sonne weist. Es dauert mit 346,62 Tagen deutlich kürzer als unser tropisches Erdenjahr mit 365,2422 Tagen. Der Grund ist die Drehung der Mondknotenlinie entlang der Ekliptik entgegen der Umlaufrichtung der Erde um die Sonne. Pro Jahr kommt die Knotenlinie so der Erde um rund 19,34 Grad entgegen, entsprechend rund 19 1/4 Tagen. Eine volle Drehung der Knotenlinie dauert 18,61 Jahre. Durch ihre entgegengesetzte Umlaufrichtung weist die Mondknotenlinie aber schon deutlich früher, nach 18 Jahren und im Schnitt 10 bis 11 Tagen, wieder auf Sonne und Erde.
Weil die Umlaufbahn des Mondes um die Erde natürlich zwei Schnittpunkte (Knoten) mit der Erdumlaufbahn um die Sonne (Ekliptik) hat, in denen jeweils eine Finsternis möglich ist, halbiert sich das Finsternisjahr in zweimal 173,31 Tage. In diesem mittleren Zeitabstand, der rund vier Tage kürzer ist als sechs synodische Monate, steht die Knotenlinie genau auf Erde und Sonne ausgerichtet. Um diese Termine herum öffnen sich jeweils “Finsternisfenster”, in denen bis zu maximal drei Finsternisse weltweit möglich sind.
Völlig zufällig nun entsprechen auch 19 Finsternisjahre zu je 346,62 Tagen mit zusammen 6585,78 Tagen fast der eingangs erwähnten zeitlichen Übereinstimmung von 223 synodischen mit 242 drakonitischen Monaten bzw. mittleren 18 Jahren und 10 bis 11 Tagen bzw. 18,03 Jahren nach heutigem Kalender. Die Differenz ist kleiner als ein halber Tag. Was bedeutet, der Mond hat wieder dieselbe Phase, geht als Voll- bzw. Neumond gerade wieder durch denselben Knoten seiner Bahn, während Sonne, Mond und Erde gerade wieder eine Linie bilden. Es kommt, gezwungenermaßen, zu einer Finsternis. Weshalb sich eine ständige Wiederholung von Finsternissen alle 18,03 Jahre (Saroszyklus) ergibt. Und zwar solange in Folge, bis sich die Differenz von etwa 0,44 Tagen, um welche die 19 Finsternisjahre langsamer sind als die Übereinstimmung von 223 synodischen mit 242 drakonitischen Monaten, zur Weite eines Finsternisfensters von mittleren 33 Tagen Länge summiert. Was bei über 70 Finsternissen in einer Serie des Saros theoretisch einem Zeitraum von rund 1300 Jahren entspricht. Allerdings gibt es zuweilen Unregelmäßigkeiten, welche die Serie dann auch deutlich kürzer abreißen lassen kann.
Finsternisse, die im Saros aufeinanderfolgen, sind immer gleicher Art. Also entweder nur Mond- oder nur Sonnenfinsternisse. Logisch, da stets derselbe der zwei Mondbahnknoten betroffen ist. Entweder jener, der gerade von der Erde gesehen Richtung Sonne steht oder der Knoten der Mondbahn, der im Rücken der Erde gerade von der Sonne weg weist.
Obendrein aber befindet sich der Mond auch noch ungefähr wieder in gleicher Distanz zur Erde auf seiner leicht elliptischen Umlaufbahn. Das bedingt der sogenannte anomalistische Mondmonat. Der beschreibt mit 27,55455 Tagen den zweimaligen Durchgang des Mondes durch seinen erdnächsten Punkt. Folglich ergeben 239 anomalistische Monate mit rund 6585,54 Tagen einen Betrag, der zwischen der Übereinstimmung von 223 synodischen mit 242 drakonitischen Monaten einerseits und dem Ablauf von 19 Finsternisjahren andererseits liegt. Was vor allem für Sonnenfinsternisse Bedeutung hat. Ein erdferner Neumond vermag die Sonne nicht mehr ganz zu verdecken. Statt einer totalen Sonnenfinsternis erlebt man dann eine ringförmige. Andersherum, bei Erdnähe des Vollmondes, dauert die Totalitätsphase der Sonnenfinsternisse am längsten. Gleiche Distanzen des Mondes zur Erde gestatten also die Vorhersage gleichartiger Formen und der Dauer der Sonnenfinsternisse.
Andererseits steht aber auch die Erde nach 18 Jahren und im Schnitt 11 Tagen ihrerseits fast wieder an der derselben Stelle in ihrem leicht elliptischen Lauf um die Sonne. Was ebenfalls Art und Dauer der Finsternisse beeinflusst. Das Zusammenspiel aller dieser lunaren und solaren Gegebenheiten lässt den Saroszyklus so bedeutsam für die Finsternisvorhersage werden, weil mit ihm tatsächlich gleichartige Finsternisse in Folge vorhergesagt werden können. Dazu muss man wissen, dass sich während der 18,03 Jahre, die zwischen zwei Finsternissen in derselben Sarosserie vergehen, etwa 40 weitere Finsternisse parallel ereignen, die eine jede zu einem weiteren Saroszyklus gehört und die daher eine jede innerhalb ihres Zyklus zeitlich eindeutig, anhand der ihr vorausgegangenen Finsternisse auch in ihrer Charakteristik, voherbestimmt werden kann.
Jedem wird nach diesem Vortrag klar sein, dass die Finsternisvorhersage auf diesem Niveau für schriftlose Kulturen schwer vorstellbar ist. Man müsste zumindest um die Ekliptik, die Neigung der Mondbahn, um zwei Mondbahnknoten und um die Länge des drakonitischen Mondumlaufs wissen. Man bräuchte eine exakte Kalenderrechnung und Aufzeichnungsmöglichkeiten für die vielen zeitlich zwar versetzt, aber doch über viele Generationen parallel zueinander verlaufenden Saroszyklen, um zu entsprechenden Voraussagen zu gelangen. Hinzu kommt, dass bei weitem nicht jede Finsternis, schon gar nicht jede Sonnenfinsternis, alle 18,03 Jahre vom selben irdischen Standort aus einsehbar war. Zusätzlich erschwerten schlechte Witterungsbedingungen die Ermittlung und Verfolgung solcher Zyklen. Sein relativ langes Intervall von achtzehn Jahren war ebenso wenig förderlich für dessen Verwendung zur Vorausbestimmung von Finsternissen in archaischer Zeit, insbesondere für schriftunkundige Kulturen.
Und doch besaßen die Menschen spätestens gegen Ende der Jungsteinzeit in den schriftlosen Kulturen Europas einen gehörigen Teil dieses Wissens. Gleichwohl Kenntnisse um den drakonitischen Monat erst in der Bronzezeit im 2. Jt. v. Chr. hinzugekommen sein dürften und der Saroszyklus als Vorausschau aller möglichen Finsternisse vermutlich erst im letzten Jt. v. Chr. praktische Anwendung fand.
Schon in neolithischer Zeit wusste man definitiv in Europa, dass sich Finsterniszeiten im Abstand von sechs Mondmonaten wiederholen, was heute dem Semesterzyklus der Finsternisse entspricht. Bekannt war damit zwangsläufig, dass sich diese Zeiten für Finsternisse von Jahr zu Jahr um etwa 19 Tage verfrühen, ein Finsternisjahr also im Prinzip 346 bis 347 Tage dauert, bzw. ein halbes Finsternisjahr 173 bis 174 Tage. Darauf basierend hatte man ebenso erkannt, dass die Finsternisse nach neun Jahren einen halben Kreislauf absolviert hatten und Mond- und Sonnenfinsternisse ihre Plätze wechselten, ein voller Kreislauf aber 18 Jahre dauerte, genauer 223 synodische Monate. Ferner lässt sich das Wissen um den Octonzyklus belegen, bei dem über Jahrzehnte hinweg alle 8 Semesterzyklen abzüglich 1 synod. Monat, also alle 47 synodische Monate eine Finsternis zu erwarten ist. (Die Primzahl 47 ergibt sich, weil Finsternisse nicht immer alle 6 synodische Monate eintreten, sondern in Ausnahmefällen schon nach 5 synodischen Monaten, was meist auf einen Zyklensprung hindeutet.) Man besaß bereits ein präekliptikales Wissen in Bezug auf Verfinsterungen des Mondes innerhalb des Zodiakos. In der Frühbronezeit dürfte daraus konkretes ekliptikales Wissen entwickelt worden sein. Zur selben Zeit war man wohl auch im Bilde darüber, dass es zwei Finsternisauslöser gab, die Sonne und Mond verfolgten. Letztlich war auch die Länge eines “Finsternismonats” (heute Finsternislimit) von 33 Tagen Dauer bekannt und wahrscheinlich auch das kürzere Zeitlimit für sichtbare Mondfinsternisse von 22 Tagen innerhalb des Finsternismonats.
Finsternislimit, Finsternisfenster, Finsternisportal,
Finsternisereignisse von Sonne oder Mond sind nicht nur möglich, wenn Voll- oder Neumond exakt mit dem Knotendurchgang des Mondes zusammenfallen! Wegen der geringen Neigungsunterschiede zwischen Mondbahn und Ekliptik von lediglich rund fünf Grad, ergibt sich bei jedem Knoten ein Zeitraum für Finsternisse, der etwas länger als einen synodischen Mondmonat dauert. Der Grund dafür liegt im schleifenden Schnitt beider als hauchdünne Linien zu sehenden Bahnen, während Sonne, Erde und Mond beträchtliche Dimensionen aufweisen, wenn auch im großen Abstand zueinander. Daher überdeckt die Mondscheibe mit ihrem scheinbaren Durchmesser von rund einem halben Grad in einem Streifen beiderseits des Schnittpunktes diese Linien. Ein zweiter Grund ist die langsame Drehung der Mondknotenline. Der Mond schafft es daher von einem zum nächsten Knoten und zuweilen wieder zum ersten zurück, bevor die Knotenlinie den finsternisgefährdeten Sektor beiderseits des eigentlichen Schnittpunktes wieder verlässt. Die zeitliche Weite dieses Sektors beträgt insgesamt, je nach Darstellung, zwischen 33 bis 36 Tage, bzw. geometrisch 16° bis 17° beiderseits des Knotens entlang der Ekliptik.
Die Sektorweite, fachsprachlich das Finsternislimit oder landläufig das “Finsternisfenster”, gilt sowohl für Sonnen- als auch für Mondfinsternisse. Was allerdings purer Zufall ist. Auch gibt es zwei wesentliche Unterschiede bei Sonnen- und bei Mondfinsternissen. Sonnenfinsternisse sind praktisch über das gesamte Zeitfenster von 33 oder 36 Tagen hinweg zu beobachten, Mondfinsternisse nicht.
Grundsätzlich baut sich ein solches Finsternisfenster so auf, dass sich die Voll- bzw. Neumondtermine dem Knotenpunkt annähern, also prinzipiell zuerst immer der größere Halbschattenbereich von Erde oder Mond betroffen ist, bevor jeweils der kleinere Kernschattenbereich erreicht wird. Bei der Sonne bedeutet eine Halbschattenfinsternis, der Blick geht durch den Halbschatten des Mondes, sodass man eine partielle Sonnenfinsternis wahrnimmt, obwohl der Kernschatten des Mondes nirgends die Erde erreicht. Diese Halbschattenfinsternisse der Sonne betreffen allerdings nur beide Polregionen der Erde, wenn der Kernschatten des Neumondes gerade die Erdkugel verfehlt, weil der knapp über ihr bzw. unter ihr durchzieht.
Beim Mond hingegen kann es passieren, dass der nur von außen in den Halbschattenkegel der Erde hineinragt. Dann spricht man von einer partiellen Halbschattenfinsternis, die rein optisch nicht feststellbar ist. Steht der Vollmond komplett im Halbschatten, der auf Monddistanz etwa gerade so breit ist wie die Mondscheibe, spricht man von einer totalen Halbschattenfinsterniss. Die eher selten ist und optisch auch nur versierten Menschen auffällt, wenn man um den Termin weiß und ganz genau das Farbspiel des Mondes beobachtet. Meist aber touchiert der größtenteils den Halbschatten der Erde durchwandernde Vollmond auch schon teilweise ihren inneren Kernschattenkegel. Man erkennt also an seinem Rand eine dunkle Einbuchtung und wir sprechen von einer partiellen Mondfinsternis. Rückt der Vollmondtermin noch näher an den Knotenpunkt im Zentrum des Zeitfensters heran, wandert der Mond schließlich komplett durch den Kernschatten der Erde, was einer totalen Mondfinsternis entspricht. Erreicht dabei die Mondscheibe von außen den Zentrumspunkt des im Querschnitt runden Kernschattenkegels und geht über diesen hinaus, spricht man von einer zentralen Finsternis. Das Optimum ist logischerweise erreicht, wenn das Zentrum der Vollmondscheibe sich mit dem Zentrum des Kernschattens der Erde deckt. Da der Durchmesser des Kernschattens der Erde in Monddistanz (rund 384. 000 km) ungefähr zweieinhalb mal so groß ist wie der Monddurchmesser, ist nicht jede totale Mondfinsternis auch eine zentrale Finsternis. (Vergl. hierzu auch Abb. 2 in Kapt. II/1.)
Logischerweise dauert eine Mondfinsternis am längsten, wenn der Mond exakt durch den Mittelpunkt des Schattenkegels zieht. Was dann der Fall ist, wenn der Termin eines Vollmondes exakt mit dem Knotendurchgang im Zentrum des Finsternisfensters zusammenfällt. Unbesehen der Tatsache, dass natürlich auch die Entfernung Erde-Mond die Dauer der Finsternis beeinflusst. Jenseits des Knotens ergibt sich dann die gegenläufige Entwicklung beim Mond von zentraler über totaler zurück zu partieller, Halbschatten und schließlich partieller Halbschattenfinsternis innerhalb des 16° bis 17° messenden Sektors.
Je länger und genauer ein Finsterniszyklus entwickelt wird, um so länger dauern diese einzelnen Entwicklungsphasen bis hin zu zentralen Finsternissen – die sich dann beispielsweise im Saroszyklus viele Male wiederholen – und zurück, weil man mit zunehmender Genauigkeit immer kleiner werdende Annäherungsschritte der Voll- oder Neumondtermine an den Knoten betrachtet. Diese systematische Entwicklung innerhalb der Finsternisfenster ist allen Finsterniszyklen gleich. Bis hin zum kürzesten aller Finsterniszyklen, dem Semesterzyklus, bei dem sich maximal acht Finsternisereignisse in Folge wiederholen können, bevor die Serie abreist und der nächste Zyklus beginnt. Weil das Finsternissemester mit 173,31 Tagen um etwa 4 Tage kürzer ist, als der Zeitraum von sechs synodischen Monaten, ein Finsternisfenster aber nur im Mittel 33 Tage weit, passen maximal acht Finsternisse im sechsmonatigen Abstand mit jeweiliger Verfrühung um rund Tage in ein solches Fenster. Der nächste Voll- bzw. Neumond ereignet sich bereits nach dem Finsternisfenster. Dafür könnte jedoch der ihm vorangehende Voll- bzw. Neumond schon wieder auf den Beginn des Fensters fallen, womit ein neuer Zyklus begänne. Dies sind die gelegentlichen Sprünge, bei denen dann nach fünf statt den allgemein üblichen sechs synodischen Monaten schon wieder eine Finsternis beobachtet werden kann.
Während die Position des uns vergleichsweise sehr nahen Mondes bei seinem Eintauchen in den Erschatten von überall auf der Nachtseite der Erde aus gleich erscheint, ergibt sich ein ganz anderes Sichtverhältnis bei der Betrachtung einer Sonnenfinsternis. Die Erddistanz zur Sonne beträgt im Mittel knapp 150 Mio. Kilometer. Daraus ergibt sich die sogenannte Mondparallaxe. Das bedeutet, die Stellung des nahen Mondes erscheint in Bezug auf die ferne Sonne für Betrachter auf der Erdkugel verschieden. Ein Betrachter am Pol sieht den Mond zur selben Zeit vor der Sonne ganz woanders, als ein Betrachter am Äquator bzw. einer am gegenüberliegenden Pol. Dieser Effekt, die sogenannte Mondparallaxe, gestattet global gesehen innerhalb eines Finsternisfensters über eine längere Zeitspanne hinweg die Beobachtung totaler Sonnenfinsternisse als die totaler Mondfinsternisse. Der Grund ist, die Totalität der Sonnenfinsternis lässt sich an geeigneter Stelle auf der Erdoberfläche schon bzw. noch an einem Punkt beiderseits des eigentlichen Knotens wahrnehmen, an der wir den nahen Vollmond erst bzw. noch teilweise verfinstert sehen. (Ringförmige und totale Sonnenfinsternisse verlaufen übringens immer auch zentral, da Sonne und Mond scheinbar gleiche Durchmesser haben.)
Das Zeitfenster für zentrale Sonnenfinsternisse innerhalb jedes Finsternisfensters ist etwa genauso weit, wie das Fenster für partielle und zentrale Finsternisse des Mondes zusammen. Es beträgt etwa 11 Tage beiderseits der Mitte eines Finsternisfensters. Während darüber hinaus beim Mond optisch keine Bedeckung der Mondscheibe mehr wahrnehmbar ist, bleiben bei der Sonnenfinsternis immer noch die partiellen Verfinsterungen für weitere 5 bis 6 Tage beobachtbar. Natürlich nur, wenn man sich dabei im begrenzten Sektor des wandernden lunaren Halbschattens auf der Erdoberfläche befindet.
Daraus resultiert ein bedeutsamer Umstand. Es sind zwar zwei partielle Sonnenfinsternisse möglich, die eine zentrale Mondfinsternis im selben Finsternisfenster 14 bis 15 Tage zuvor und danach flankieren. Nicht möglich ist jedoch eine zentrale Sonnenfinsternis und zwei partielle Mondfinsternisse im selben Finsternisfenster. Das 22-tägige Zeitfenster ist für zwei partielle Mondfinsternisse einfach zu kurz.
In neolithischer Zeit kannten die Menschen keine Fenster, wohl aber Tore. Für sie gelangten Sonne, Mond und auch die Finsternisauslöser über dieselben verborgenen Passagen hinter dem Horizont aus einer unterweltlichen Region des Todes und der Schatten in die Sphäre des Lebens und des Lichts. Wenn nun nicht jeden Voll- und Neumond eine Finsternis zu sehen war, ebenso wenig in jedem vorherbestimmten “Finsterniszeitraum”, zuweilen sogar mehrere Jahre in Folge keine Finsternis beobachtet werden konnte, musste es Kräfte geben, welche das Emporsteigen der Finsternisse aus den verborgenen Schattengefilden an den Himmel verhinderten. Möglicherweise stellte man sich bewachte Übergangsportale an den Horizontpunkten der Ekliptik vor, welche die Finsternisauslöser nur gelegentlich zu überwinden vermochten.2 Entsprechend gab es vermutlich in archiaschen Zeiten verbreitet die Vorstellung von solchen Sphärentoren zwischen Ober- und Unterwelt in der gesamten Alten Welt, die finsternisbezogen als “Finsternisportale” bezeichnet worden sein könnten.
Dieser Vorstellung von Sphärenportalen begegnet man überall in der Vor- und Frühgeschichte. Selbst noch in den antiken Mythen, wie unter anderen das Gleichnis vom Athener Stadttor beim Einzug des Theseus belegt, dass dort als Gleichnis für “Finsternisportal” dient (Vergl.: Kapt. II/4). Meines Erachtens vermittelten schon die auffälligen, teils mit Bukranien geschmückten Zugangspassagen samt den inneren Pallisadenöffnungen in den mitteleuropäischen Kreisgrabenanlagen des frühen 5. Jt. v. Chr. das Konzept von Sphärentoren. Wobei sich allerdings die Frage auftut, ob man damals den Blick von innen nach außen zu den Horizonten wandte oder umgekehrt, das Innere als jenseitiges Refugium betrachtet wurde, in dem die unterweltlichen Wanderungen von Sonne, Mond und Finsternisschatten(?), vielleicht sogar mit den Ahnengeister durch die Unterwelt zu besonderen Anlässen rituell zelebriert wurden? Wie auch immer! Die Idee setzt sich fort in den portalartigen Urdolmen aus zwei oder drei Standsteinen mit einem großen Deckstein, in den Portaldolmen und den Eingangspassagen der Megalitganggräber, den ähnlich portalartigen maltesischen Tempeleingängen der Megalithzeit oder den dortigen Portalstrukturen im Untergrundbauwerken (Hypogäen). Vermutlich gehören die kreis- und hufeisenförmigen Portalbauten von Stonehenge bereits in die ideell fortgeschrittene Kategorie: Ekliptik- bzw. Finsternisportale.
Auch in der minoischen und mykenischen Kultur findet sich vielfach die Symbolik der Sphärenportale wieder, bspw. in Knossos mit diversen Säulenpaaren (In den Farben: Rot – Mofi und schwarz – SoFi?) oder in der Symbolik der “triparted Shrines“. Ein besonderes Beispiel für ein ekliptikales Torsymbol sind die von Sir Athur Evans sogenannten “Horns of Consecration” aus Knossos auf Kreta (Abb. 1 unten). Sie symbolisierten in etwa das, was wir heute das “Goldene Tor der Ekliptik” nennen, den Abschnitt zwischen den Sternhaufen der Hyaden und der Plejaden. Die “Horns of Consecration” könnten entweder ein analoges ekliptikales Tor, etwas östlicher versetzt zwischen den Hörnersternen des Sternbildes “Taurus” symbolisiert haben oder aber sie bezeichneten tatsächlich schon in minoischer Zeit exakt die Position der Ekliptik, die wir noch heute als das “Goldene Tor der Ekliptik” kennen. Sinn eines solchen kosmischen Portals wäre, hier den Kreislauf der Finsternisse durch den Zodiakos, sinngemäß des Minotauros bzw. der Knoten festmachen zu können. Es ist praktisch das “Himmelstor des Minotauros“, aus welchem der mythische Asterios, der Minotauros, das Sternbild “Stier”, am Nachthimmel unvermutet hervorzupreschen scheint, um gegen den gewappneten “Orion” anzurennen. Der Saroszyklus aber ist sein kosmischer Regenerationszyklus.


Den Saroszyklus zelebrierten vielleicht auch schon die Ägypter im 4./3. Jt. v. Chr. als Sedfest (eher wohl Seth-Fest). Denn der Urmythe nach bezwang einst Lichtgott Horus seinen Bruder, den ungeheuer starken und unbändigen Gott der Finsternis, den Verfechter des Urchaos Seth, der in Gestalt eines schwarzen “Stiers” daherkam, der am Nachthimmel ergrimmt gegen den Himmelskönigs, den Götterkönig in Gestalt des Sternbildes “Orion” anrannte. Dieser schwor nach seiner Niederlage dem Horus die ewige Gefolgschaft, der daraufhin nicht nur das Leben des Seth verschonte, sondern ihm die Herrschaft über Unterägypten, im übertragenen Sinne zugleich über die ‘Unterwelt’ jenseits des Horizontkreises erteilte. Was so oder so ähnlich schon prädynastische Prunkstücke der Nilkultur bezeugen dürften, wie die berühmte Narmerpalette und Prunkkeulen, die, soweit nicht schon wissenschaftlich anerkannt, vermutlich ebenso König Narmer (um ca. 3000 v. Chr.) zugeschrieben werden müssen. Da der König sich damals schon mit dem Gott Horus identifizierte, gingen sinngemäß auch die körperlichen und magischen Kräfte des Seth nach dessen mythisch inszenierter Niederlage gegen Horus auf den König selbst über. Zugleich war er als Horus König von Ober-, als Seth König von Unterägypten. Letztlich verstand sich der Nilkönig damit ebenso als Herrscher über Licht und Finsternis wie als Herrscher über Ober- und Unterwelt, singemäß also über den gesamten Erdenkreis. Als Hintergrund der Mythe wird das Wissen um gewisse Finsternisrhythmen und Finsternisbedingungen erkennbar, welches bereits die prädynastischen Könige auf sich vereinten und über orakelhafte Weissagungen kultisch für die Machtsicherung vereinnahmten. Vermutlich wurde alle neun Jahre entweder der Bund zwischen Horus und Seth, ergo zwischen dem König und Seth erneuert, bzw. wurde die mythisch propagierte, zyklische Erneuerung der Kräfte des Seth im Saroszyklus auf den König übertragen. Beziehungsweise wurde die Gefolgschaft des Seth unter Horus zyklisch erneut beschworen. Auch das scheint in Teilen Thema besagter Schminkpalette und der Prunkkeulen König Narmers von Ägypten.
Wo man auch hinschaut. Finsterniswissen begegnet man, wie der Idee von Sphärenportalen, in der Vor- und Frühgeschichte unentwegt. In vielen Kulturen, egal ob schriftkundig oder nicht. Das Phänomen der Finsternisse, aber auch die Frage, wo und wie Sonne und Mond, trotz ihrer Horizontverlagerungen alltäglich zwischen Ober- und Unterwelt zu wechseln vermochten, ohne dass ihnen die vermeintlich dort hausenden Heerscharen der Totengeister, Dämonen und was sonst noch auf den Fersen folgten, bewegte die Menschen seit frühester Zeit. Gleiches gilt sicher auch, nach entsprechenden Erkenntnissen, für die Frage, warum die Finsternisse zwar feste Zeiten für ihr Auftauchen am Himmel hatten, nicht aber immer erschienen. Wer oder was, welche verborgenen Kräfte oder Mächte, sorgten für ihr undurchsichtiges Reglement? Für mich erscheint es logisch, wegen solcher Fragen nach entsprechenden Hinweisen in den kulturellen Hinterlassenschaften weltweit und ohne zeitliche Einschränkungen zu suchen.
Warum, um alles in der Welt, sind aber der großen Masse der Prähistoriker derlei Fragen scheinbar völlig egal, die über Jahrtausende hinweg die Menschen bewegt haben müssen? Fragen, auf die man sogar noch bei Grimm’schen Märchen wie “Frau Holle” stößt, wo einem noch immer Aspekte wie Licht (Gold) und Finsternis (Pech), Portale und Wasserscheiden als Sphärenübergänge zwischen Erde, Unterwelt und Himmel zweifellos entgegentreten. Als ob das Märchen mit Gleichnissen wie Blumenwiese, Apfelbaum und Backofen im Sinne der irdischen Fruchtbarkeit während Frühling, Sommer und Herbst, wie auch mit dem “bettengemachten” Schneefall im Winter den jährlichen Weg der Sonne entlang der Ekliptik metaphorisiert, wobei die Jahresübergänge als Sphärenportale galten.
Footnotes
- Neben den beiden zuvor genannten sind hier ferner von mir verwendete Quellen: “dtv-Atlas zur Astronomie”, 10., neubearbeitete Auflage April 1990, Deutscher Taschenbuchverlag, München; Rudolf Kippenhahn/Wolfgang Knapp: “Schwarze Sonne, roter Mond – Die Jahrhundertfinsternis”, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1999; Wikipedia, Stichwort: “Saroszyklus”; Wikipedia, Stichwort: “Finsternislimit”.
- Zu solchen Wächterkreaturen gehörte vermutlich auch der den Eingang zum Hades bewachende Kerberos, der erst in der Antike, spekulativ wohl wegen der drei Finsternismöglichkeiten pro Finsternisfenster, drei Köpfe bekam, statt seiner vorherigen Vielzahl an Mäulern. Zwar bewachte der auch die Unterwelt vor eindringenden Lebenden. Weit logischer aber erscheint doch seine Funktion, keine Toten, keine Dämonen, Geister oder Schatten in die Welt der Lebenden hinauszulassen.