Kapitel V

5.3
Der Sonnenlauf als Jahresbogen

Sie ist wirklich etwas Besonderes! Nicht ihrer Form oder Größe wegen. Außergewöhnlich an der steinernen Grabkiste vom Fundort Göhlitzsch, einem heutigen Stadtteil von Leuna im Land Sachsen-Anhalt, ist ihr reichhaltiges, bildliches Interieur. Mir ist nichts Vergleichbares bekannt. Die Faszination beruht vor allem auf der gleichermaßen suggestiv wie kryptisch anmutenden Bildsprache. Beim spontanen Betrachten erzeugt das jenen typischen Nervenkitzel des Entdeckers, der sich aus dem sofortigen Erkennen einiger klar verifizierbarer Bildelemente nährt, gepaart mit der Hoffnung, dass sich über diese schnell ein sinnvoller Bezug auch zu den kryptischen Zeichen und Mustern auf den übrigen bebilderten Grabwandplatten herstellen lässt.1

Drei Bildelemente dürften für jedermann einfach verifizierbar sein: ein Reflexbogen, etwa in realistischer Größe abgebildet nebst Köcher mit Pfeilen darin, sowie auf der einst diagonal gegenüberstehenden Wandplatte eine gestielte Axt im ungefähr korrekten Größenverhältnis zum Bogen. Meine folgenden Ausführungen konzentrieren sich allein auf die Wandplatte mit Bogen und Pfeilköcher. Da allerdings auch die Wandplatte mit der Axt ikonologisch durchaus vielversprechend erscheint, weil dort eventuell finsternisrelevantes Wissen verewigt wurde, will ich im Anschluss dazu wenigstens ein paar spekulative Gedanken loswerden. Bei beiden Wandelementen handelt es sich jeweils um die größeren, längsrechteckigen Wandplatten der Längsseiten des Grabes. Die ihnen jeweils auf der Längsseite beigestellte kurze Wandplatte und die beiden Stirnseitenplatten wurden zwar genau wie diese reichhaltig dekoriert, weisen aber entweder nur musterartig erscheinendes Dekor oder kryptische Symbole auf, deren Bedeutung sich mir leider nicht erschlossen hat bzw. über die sich nur in höchst spekulativem Maße debattieren ließe. Allen sechs Wandplatten ist am oberen Rand ein umlaufender Fries von hängenden, konzentrisch geschachtelten Keilwinkelmotiven eigen.

Nicht einmalig für ihre Zeit, aber auch nicht gerade üblich war die teilweise farbige Gestaltung der Bilder mit Grau, Weiß, Schwarz und Rot. Wobei zuweilen die Gravuren oder Ritzungen wie bei den Zeichen der salzmünder Äxte farbig gefüllt (inkrustiert), zum Teil aber die Bilder selbst nur farbig ausgeführt wurden, scheinbar ohne unterlegte Piktogramme. In den zweieinhalb Jahrhunderten seit Auffindung des steinernen Grabes von Göhlitzsch haben einige der Farbaufträge leichten Schaden genommen. Das macht es mittlerweile schwierig, alle Details korrekt zu erfassen. Ein Umstand, der die ikonologische Analyse zumindest punktuell erschweren dürfte. Das betrifft jedoch nur stellenweise die Platte mit der gravierten Stielaxt, nicht die hier näher zu beleuchtende Wandplatte mit Bogen und Köcher. Auf dieser sind alle Bildelemente in den Stein graviert worden und insofern recht eindeutig erkennbar. Meine Interpretation wird also für jeden, der das Original in der Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale studiert oder über gutes Bildmaterial verfügt, eindeutig nachvollziehbar. Wir befinden uns wieder im Gebiet der Salzmünder, jedoch in der nachfolgenden Bernburger Kultur in der ersten Hälfte des 3. Jt. v. Chr., als bereits die Schnurkeramiker mit den ihnen typischen Reflexbögen nach Mitteleuropa einwanderten. Das Ausmaß der Göhlitzscher Steinkiste entspricht menschlichen Köpermaßen in großzügiger Bemessung. Sie bestand aus sechs Wand- und drei Abdeckplatten. Die Längsrichtung war grob nordöstlich-südwestlich orientiert. Ob die Ausrichtung mit der Sonnenwendachse korrelierte, scheint nicht überliefert. Nördliche und südliche Langseite des Grabes bildeten jeweils eine lange querliegende und eine kurze hochkant gestellte Platte. Stirnseitig stand jeweils eine einzelne Platte hochkant.

Abb. 3: Die große nördliche Wandplatte mit Reflexbogen. Darunter ein Flächenornament, das als „Wandbehang“ gedeutet wurde. Der legte in Anbetracht des restlichen Dekors die Vermutung nahe, der Schöpfer der Petroglyphen wollte dem Verstorbenen eine anheimelnde Behausung für das jenseitige Leben schaffen. Links der Pfeilköcher. Zwischen Bogen und Köcher findet sich ein merkwürdiges Objekt, wie ein viel zu klein geratenes Beil. (Meine Grafik gibt die Musterungen teilweise nur angedeutet, teils auch mengenmäßig verfälscht wieder.)2

Auf der langen Platte der nördlichen Grabwand fanden sich unter dem Reflexbogen flächige Dekors mit Zickzackmuster in vier Feldern, die wie gemusterte Stoffbahnen anmuten. Die Orientierung der Muster alterniert mit jeder Bahn vertikal und horizontal. Jene vier Felder trennen untereinander doppelte vertikale Stegleitermuster, die rechts andeutungsweise ins Tannenbaumartige übergehen. Hans Hahne, Hallenser Prähistoriker (1875-1935), mutmaßte seinerzeit, es könne sich dabei um die Imitation eines vierteilig vernähten Wandbehangs handeln.3 Folgt man dieser Theorie, wären die vertikalen Stegleitermotive wohl als recht grobe Verbundnähte imitierter Stoff- vielleicht auch Leder- oder Rindenbahnen zu deuten.

Was insofern einleuchtet, als links wie rechts außen an den Rändern keine solchen vertikalen Stegleiterelemente vorhanden sind. Statt eines rechten äußeren Stoffrandes schließt sich eine doppelreihige, vertikale ‘Wimpelkette‘ an. Nach einiger Überlegung erschien es mir allerdings sinnvoller, das Motiv als doppeltes Dreieckslaschenband einzuordnen. Solche ‘gezahnten‘ Verbindungselemente sind noch heute üblich in der hochwertigen Schuhherstellung, um das an den Rändern analog ausgezackte, gewölbte Oberleder faltenfrei mit der Sohle verkleben zu können. Seltsamerweise wirkt das Laschenband hier, als stünde es separat unmittelbar rechts neben dem viergeteilten „Wandbehang“. Fast so, als sei es von diesem losgelöst zu betrachten. Da jedoch unmittelbar rechts vom Laschenband die Steinplatte endet, gibt es nichts, was hier hätte verbunden werden können. Die sich einst rechts anschließende kleine Wandplatte der nördlichen Längswand bietet keinerlei Hinweis auf eine Fortsetzung der “Wandbehang“-Musterung. Den linken Rand des „Wandbehangs“ unterhalb des Reflexbogens auf der langen Wandplatte bildet eine dünne, vertikale Ritzlinie, die eher wie eine Hilfslinie denn wie ein Bildelement wirkt. Sie diente dem Graveur vielleicht nur zur praktischen Begrenzung der Musterung, um nicht versehentlich damit zu weit nach links zu geraten. Jedenfalls ist sie nicht vergleichbar mit den deutlich kräftigeren Linien der „Verbundnähte“ des „Wandbehangs“.

Die Idee vom imitierten Wandbehang unter dem aufgehängten Reflexbogen als Teil eines ebenso nützlich wie praktisch und gemütlich scheinenden Hütteninterieurs ließe sich, so man dies unbedingt wollte, recht unproblematisch auf die übrigen Wandplatten übertragen. Nimmt man die Deutung als Wandbehang bzw. als häusliche Innenwanddekoration ernst, könnte man auch die Dreiecks- und die an allen Wandplatten am oberen Rand umlaufenden, geschachtelten Keilwinkelmuster für weitere, abstrahierte oder stilisierte Einrichtungs- bzw. Architekturelemente eines imitierten „Totenhauses“ halten. Diese ältere Theorie von der Dekoration der Grabkiste als schön ausstaffierte „Totenstube“ mit Jagdwaffen bzw. Insignien von Macht und Rang mit einem bildhaft gegenüber auf der Axtplatte angedeuteten Blick in die umgebende Landschaft mit “Baum“-Motiven und gatterartiger Hofeinzäunung erscheint zunächst einleuchtend.

Doch der Schein trügt! Und zwar gewaltig! Mag sein, dass der endneolithische Schöpfer des bildlichen Interieurs auch eine solche Absicht verfolgte. Wenn, dann jedoch in einer bewusst inszenierten Doppeldeutigkeit, die vielleicht absichtlich das Auge zu täuschen versuchte. Über mögliche Gründe für eine solche Annahme ließe sich nur wild spekulieren. Es gibt in der Tat aber gute Gründe, in den Motiven mehr als nur naive Bilder von einer jenseitigen Behausung für den Verstorbenen zu sehen. Die mutmaßlich nur wenig älteren, dekorierten Steinäxte der Salzmünder Kultur hatten bereits einen Eindruck davon vermittelt, wie bedeutungsvoll solche sinnbildlichen Zeichenarrangements inhaltlich sein können. Vor allem aber, auf welcher geistigen Ebene sie rangieren.

Zur einzigartigen Darstellung des Reflexbogens in der göhlitzscher Grabkiste kam mir schlagartig die Erleuchtung bei der Betrachtung moderner Sonnenstandsdiagramme, wie sie vor Installation von Solaranlagen zur Einschätzung der möglichen Lichtausbeute erstellt werden. Ich stieß im Internet eher zufällig auf das Thema. Einige dieser Kurvendiagramme zeigen beiderseits des Hauptbogens abgeschwächte flachere Ausläufer. Bei Betrachtung der Kurvendiagramme war ich spontan an den Reflexbogen aus dem Grab von Göhlitzsch erinnert. Erst jetzt, bei umgehendem Vergleich mit den Petroglyphen stach mir auch die Koinzidenz der Kreuzungspunkte von Bogen und Sehne mit den “Nähten“ des vierbahnigen „Wandbehangs“ darunter ins Auge. Das war kein Zufall! Bogen und gemusterter Behang bildeten eine ideelle Einheit. Hier konnte nur der jährliche Sonnenlauf mit seiner für das mittlere Europa typischen, jahreszeitlich bedingt, vierfachen Gliederung gemeint sein.4 Womit er vermutlich richtig lag. Im Gegensatz zu Köcher und Bogen oder zum abgebildeten Beil auf der gegenüberliegenden großen Grabwandplatte ist dieses Objekt auffallend klein gehalten. Von seiner Form her eventuell auch als Axt oder Beil gedeutet, stünde es größenmäßig in keinem sinnvollen Verhältnis zu jenen eindeutig identifizierbaren Objekten. Es könnte sich nach Form und Größe zu urteilen entweder um einen Haken handeln, mit welchem die Sehne des Bogens gespannt wird, die auf der originalen Wandplatte entspannt bzw. nur lose vorgespannt wirkt. Es könnte sich aber auch um eine Art Knüpfhaken ganz allgemein zum Verknüpfen oder Verschlingen von Schnüren oder von Sehnen zu Netzen handeln.

Mit dieser Auslegung des Zeichens ließe sich nicht nur die Theorie von einer gedanklichen „Verknüpfung“ der beiden Wandbehangenden zur Rolle stützen. Auch die recht grob wirkenden Verbundnähte der vier Wandbehangteile wirken, als seien sie mit starken Schnüren oder Sehnen verbunden, die vielleicht mit einem Hilfsmittel wie dem Haken festgezurrt werden mussten. Was wiederum seinen Ursprung in der Bedeutung des „Wandbehanges“ als „Himmelsrolle“ haben dürfte. Die groben, kräftigen „Nähte“ wären mit ebenso mächtigen Sehnen, gleichsam jener vom Himmelsbogen, dann als entsprechend kosmisch dimensioniert zu erachten. Egal, wie man diese Symbolik im Detail also werten will, der „Knüpfhaken“ steht hier sinnbildlich für „verknüpfen“.

Dann freilich stellt sich, aufgrund seiner Position im Bild unmittelbar über dem linken Rand des Wandbehangs, aber auch unmittelbar neben der Sehne des Bogens, die große Frage: „Gilt das ideelle Verknüpfen zum Kreiselement nicht nur für den Wandbehang, sondern auch für den Bogen selbst?“ Man erinnere sich! Wir sehen ja eigentlich keinen Bogen, sondern eine durchgängige Schlingenlinie in Form eines Bogens mit Sehne. Muss der „Knüpfhaken“ unmittelbar daneben vielleicht so gedeutet werden, dass auch die Bogenschlaufen an beiden Enden sinngemäß miteinander ‘verknüpft‘ werden müssen?

Verfährt man gedanklich so, ergibt das zum Kreis gebogene Abbild des Bogens das Symbol des achtförmigen Sonnenanalemma, das eigentlich den Jahreskreis der Sonne entlang der Ekliptik verdeutlicht und symbolisiert. Eine Figur, von der manche meinen, die sei im Neolithikum unmöglich zu erkennen gewesen. Ich halte das für einen Irrtum. Man stelle sich ein rundes Zelt oder eine Jurte mit zentraler, ebenfalls runder Dachöffnung vor, die das ganze Jahr über an derselben Stelle steht. Zeichnet dann nicht die Sonne im Jahreslauf auf dem schattigen Zeltboden eine lichte Acht ab, eben das Analemma? Eine ähnliche achtförmige Figur ergäbe sich allein schon, wenn man nur zur Mittagszeit den ovalen Lichtfleck am Zeltboden am Tag der Sommersonnenwende mit jenem am Tag der Wintersonnenwende verbindet. Davon ausgehend ließ sich für endneolithische Verhältnisse begreifen, dass sich eine ähnlich aus beiden Lichtflecken zusammengesetzte Achtform auch an allen jenen Tagen ergeben muss, die man sich jeweils von den beiden Sonnenwendterminen bis hin zu den Tag-und-Nachtgleichen entfernte. Einzig zum Termin beider Tag-und-Nachtgleichen wären beide Lichtflecken deckungsgleich. Dieser Zeitpunkt entspräche dem Kreuzungspunkt im Analemma. Letztlich ist diese Idee, wenn man sie erst einmal erkannt hat, überall umsetzbar, wo das ganze Jahr über ein begrenzter Lichtfleck der Sonne in einem abgedunkelten Raum, einer natürlichen oder künstlichen Steinhöhle etwa, beobachtet werden kann. Beides, die solare Allegorie des Reflexbogens als auch das Motiv des Analemma zeugen meines Erachtens von einer Symbolik, die in den östlichen steppennomadischen Kulturen entwickelt worden sein dürfte. Was sich mit der Datierung der Steinkiste in die erste Hälfte des 3. Jt. v. Chr. deckt, in der die nomadisch lebenden, indogermanischen Stichbandkeramiker das östliche Mitteleuropa besiedelten, sich hier gesellschaftlich zur Oberschicht aufschwangen und zu sesshaften Landherren wurden.

Keineswegs nebensächlich oder gar bedeutungsloses Zubehör ist der Köcher mit Pfeilen links vom Bogen. Mir erscheint für die kaum zufällige Anzahl von ausgerechnet sechs Pfeilen darin nur eine Möglichkeit sinnvoll: die Deutung als synodische Monatseinheiten. Ob die Symbolik des Pfeils als Zeiteinheit „Monat“ damals bereits ein allgemein gebräuchliches Gleichnis war, lohnt es methodisch zu erforschen. Sicher aber standen Pfeil und Bogen ursprünglich als Zeichen der Jagd. Ging man aber hauptsächlich bei Vollmond jagen, konnten dieselben Motive logischerweise auch lunar umgemünzt werden. Die augenscheinlich schwalbenschwanzartig geformten Enden bzw. Köpfe der Pfeile im Köcher erinnern an eine bovide, genauer an eine caprine (ziegenartige) Symbolik, die ebenfalls lunar auszulegen sein dürfte.

Was eine gedankliche Verbindung zur griechischen Göttin Artemis (röm.: Diana) evoziert, die antike Göttin der Jagd wie auch des Mondes, mythologisch ausgestattet mit ferntreffenden Pfeilen, in der Kunst oft auch mit einem ansehnlichen Reflexbogen dargestellt. Mit ihr würde die symbolhafte Verbindung: ‘Vollmond – Jagd‘ ikonologisch auch wissenschaftlich greifbar. Zwar ist die Rückdatierung des Ursprungs einer solchen Symbolik in endneolithische Zeit durchaus fragwürdig, vorerst aber auch nicht auszuschließen. Immerhin ergäbe sich mit der göhlitzscher Steinkiste ein passendes Forschungsobjekt, an dem sich entsprechende wissenschaftliche Studien betreiben ließen. Vergleichbare Abbildungen von Pfeil und Bogen im mutmaßlich kosmologischen Bildkontext für derartige Forschungen finden sich ferner an einigen endneolithischen-frühbronzezeitlichen Menhirstatuen wie sie auch im Folgenden noch besprochen werden, beispielsweise aber auch schon im 4. Jt. v. Chr. im Ganggrab von Gavrinis am Golf von Morbihan, dort auf Wandstein Nr. 24. Für die Pfeile im Köcher in der göhlitzscher Steinkiste lässt sich vor diesem Hintergrund zunächst nur postulieren, sie stehen indirekt, über die Periodik des Vollmondtermins als regelmäßig wiederkehrendem Zeitpunkt der Jagd, symbolisch für ‘lunarer Monat‘.

Geht man von der übergeordneten Zeiteinheit eines solar geprägten Jahres mit 365 Tagen aus, wie am Reflexbogen mutmaßlich demonstriert, ergibt sich für die monatlichen Umläufe des Mondes allerdings eine nachrangige Bedeutung. Entsprechend wird der seitlich angeordnete Köcher mit den sechs “Mond-“ bzw. „Monatspfeilen“ darin als Zubehör zum Bogen dargestellt. Was die Frage aufwirft, weshalb nur die Anzahl Monate für ein halbes Jahr dargestellt wurde?

Die Antwort auf die Frage lautet: „Dem ist nicht so!“ Die übrigen sechs „Monatspfeile“ stecken nur nicht im Köcher! Die dienen nebenan im Wandbehang als Verbindungsstecken. Dort hatte ich vorab die Stegleitermotive als “Nähte“ angesprochen. Doch sind die drei „Nähte“ jeweils als Doppellinien ausgeführt. Ihre Zahl ist also ebenfalls sechs. Zudem entspricht ihre Länge etwa jener der Pfeile im Köcher. Obendrein zeigt der “Frühlingspfeil“ eine deutliche Spitze. Was hintergründig andeutet, dass der zur Rolle geformte „Wandbehang“ nicht einfach einer rein ideellen Vorstellung entsprach. Vielmehr entspricht die Darstellungsform einem Rundzeltbau, bei dem Stoffbahnen mit den Zeltstangen stabilisiert werden. Heute ließe sich als Analogie an einen Windschutz für den Strand denken, der nach diesem Prinzip kreisrund aufgestellt wurde. Die sechs die gedachte ‘Bildrotunde‘ vertikal stabilisierenden Pfeilstäbe erklären schließlich auch, warum ihre Linien deutlich stärker dargestellt wurden, als etwa der linke Rand des Wandbehangs, der nur als dünne Hilfslinie erschien.

Ferner fällt ins Auge, die sechs „Nähte“ des „Wandbehangs“ finden sich allesamt nur im Bereich zwischen Frühlings- und Herbst-Tag-und-Nachtgleiche verteilt. Unterhalb des großen Sommerbogens stehen sie folglich nur für die sechs warmen Monate des sommerlichen Halbjahres. Die sechs Pfeile im Köcher, der seinerseits “Kompaktheit“ symbolisiert, diese obendrein ausgestattet mit “gehörnten“ Köpfen, symbolisieren demzufolge die Herrschaft des Mondes in den langen Winternächten. Die hohen nächtlichen Mondbögen während dieser Nächte reflektiert zudem der steife, halbkreisförmige Tragriemen des Köchers.

Am oberen Bildrand derselben Wandplatte findet sich, wie eingangs schon angemerkt, der auf allen sechs Wandplatten erkennbare Fries hängender, konzentrisch geschachtelter Winkelmotive. Hier ergänzt um eine horizontale zweireihige „Wimpelkette“ darunter. Für beide Elemente vermochte ich keine überzeugende Deutung zu finden, die sich sinnvoll mit der Bogenszene verbinden ließ. Insofern bleibt meine Bildaussage letztlich unvollständig. Dennoch meine ich, ist das enthüllte Bildmaterial bereits eine enorme Bereicherung für unser Wissen um die endneolithischen Erkenntnisse und Wissensstände schriftloser europäischer Kulturen. In erster Linie aber stellt das neu gewonnene Wissen um die Bildsprachlichkeit oder Bildschriftlichkeit ihrer ikonografischen Hinterlassenschaften wie auch die hier offerierte Art ihrer Dechiffrierung, so meine Hoffnung, einen Gewinn für die Vorgeschichtsforschung dar.


So müssen meines Erachtens auch vergleichende Analysen zwischen der symbolischen Bedeutung des Reflexbogens aus der Grabkiste von Göhlitzsch und den sogenannten megalithischen „Schildidolen“ angestellt werden. Diese werden häufig als abstrakt anthropomorph gedeutet. Wie etwas das in Abb. 5 abgebildete kleine Motiv. Das sich, hier nur grob schematisch und vereinfacht wiedergegeben, original am Deckenstein (Stein Nr. 14) unmittelbar vor der Grabkammer von Dolmen 2 im Hügelgrab (Cairn) von “Petit Mont“ (franz.: „Kleiner Berg“) nahe der kleinen Hafenstadt Port du Crouesty auf der Halbinsel Rhuys am Eingang zum Golf von Morbihan in der französ. Bretagne findet. Tatsächlich dürften diese Figuren den sommerlichen Sonnenbogen (Und winterlichen Vollmondbogen?) mit dem sommerlichen Pik des Sonnenwendtages (Und Mittwinterpik der höchsten nächtlichen Bahn des Vollmondes um die Wintersonnwende?) und haarähnlichen Lichtstrahlen sowie ohrenartig die Sonne-Mondstellung zu beiden Tag-und-Nachtgleichen symbolisieren, während der viereckige Leib dieser Figuren für die analog gedachte Form der Erdscheibe mit den vier Weltenecken steht. Zumindest sollten Experten darüber nachdenken, ob nicht eine derart kosmologische Lesart der “Schildidole“ näher liegt als vergleichende Betrachtungen mit einer menschlichen Gestalt.

Abb. 6: Der Cairn “Petit Mont“ mit dem megalithischen Eingang zu Dolmen 3. Links ist der Eingang zu Dolmen 2 erkennbar und ganz links außen, auf der zweiten Ebene, ein Teil der Betonbefestigung der Nazis, die einen massiven Millitärbunker mit Abwehrrichtung zum Atlantik in das jungsteinzeitliche Denkmal hineinbauten. (Foto: Autor)

Um es anderen Enthusiasten etwas leichter zu machen, möchte ich mich wenigstens kurz auch zur großen Wandplatte der südlichen Seite mit der Stielaxt im Steinkistengrab von Göhlitzsch äußern. Wobei ich in Anlehnung an die dekorierten Steinäxte aus der Salzmünder Kultur mit ihren auf Finsternisse bezogenen Informationen unterstellen möchte, dass auch hier die Axt als Finsternissymbol zu werten ist.

Was mich in dieser Annahme bestärkt, ist ein langes zaun- bzw. kammartiges Gebilde in genauer Verlängerung des Axtstiels. Was den Anschein erweckt, als müsse die symbolische Bedeutung der Axt auf dieses Bildelement übertragen werden. Die Anzahl der ‘Staketen’ am Zaun bzw. der ‘Kammzinken’ ist für mich nicht eindeutig verifizierbar. In einer historischen, gezeichneten Wiedergabe der Wandplatte von 1750 zeigt Moritz Ehrenreich Hoppenhaupt eine durchgängige horizontale Verbindungslinie mit 19 vertikalen Strichen. Anhand von Fotos ist aus perspektivischen Gründen, vielleicht auch wegen Schädigungen des Farbauftrags, die Durchgängigkeit des horizontalen Striches unklar und die Anzahl der senkrechten Striche kaum genauer als mit 18 bis 20 zu verifizieren. Sollte allerdings Hoppenhaupts bildliche Wiedergabe korrekt sein, könnten die neunzehn kurzen Vertikalstriche in Axtverlängerung für den Zeitraum von 19 Finsternisjahren stehen, also für die Sarosperiode. Natürlich käme ebenso der Zeitraum von 19 Jahren in Betracht, der dem Meton’schen Zyklus entspräche.

Abb. 7: Das Dekor der großen südlichen Wandplatte mit der Stielaxt und der „Baumreihe“ darüber. Es ist die einzige Wandplatte, auf welcher der Fries der hängenden Winkelmotive doppelzeilig erscheint. Hier verbunden bzw. getrennt durch einen Zopfflechtstreifen mit aufgesetzter Winkelreihe, die wie eine Zahnstange mit Richtungsweisung nach rechts anmutet. Bei der nordöstlich-südwestlichen Orientierung der Grabkiste hätte sie nach Südwest, Richtung Sonnenuntergang zur Winterzeit gewiesen.

Oberhalb von Axt und Zaunmotiv findet sich eine Reihe von zwölf Tannenbaummotiven, in der zwei Motive jedoch, statt abwärts, aufwärts geneigtes Astwerk zeigen. Ein auffallend breites, kaum mehr stegleiterartig zu nennendes Element unterbricht die „Baumreihe“. Es könnte sich auch hier um eine breite, scheinbar sehr stabile „Naht“ handeln. Wie man sie vielleicht als Verbindung bei einem breiten Ledergürtel oder einem Lederriemen anwenden würde, der stark auf Zug beansprucht wird. Das Element könnte wiederum für „verbinden“ bzw. „Anschluss“ stehen. Die Baumreihe assoziiert, wegen der bereits bekannten Tannenbaumsymbolik, aber auch mit Blick auf die charakteristische Zahl Zwölf der in Reihe angeordneten Baummotive eine mögliche kalendarische Bedeutung. Dennoch konnte ich mir auf das gesamte Szenario keinen vertretbaren Reim machen. Allerdings fehlte mir bislang auch die nötige Zeit, um mich eingehender mit sämtlichen Details und der Suche nach bildlichen Vergleichsmöglichkeiten zu beschäftigen, etwa in ost-, südosteuropäischen oder anatolischen Kulturräumen.

Gleiches gilt für die übrigen vier Wandplatten und ihr Dekor im göhlitzscher Grab. Manches daran lässt sich kosmologisch deuten, insbesondere Zickzack-, Rauten-, Zopfflechtmuster sowie ein strahlengürtelartiges Element. Die zwei letzteren Motive könnten zodiakale bzw. ekliptikale Bedeutung haben. Drei aneinandergereihte doppelaxt- oder sanduhrglasförmige Elemente gehören meines Erachtens ebenfalls in diese Kategorie. Doch es erschloss sich mir insgesamt kein konkretes ideelles Konzept, dem man die Gesamtheit aller Bildelemente hätte unterordnen können. Als hätte jemand ein Sammelsurium von Symbolen und reinen Mustern zusammenhangslos in einen Topf geworfen bzw. hier Wandplatten verschiedener Gräber wiederverwendet und sie lediglich am oberen Rand mit dem umlaufenden Fries hängender Keilwinkelmotive neu verziert, um ihnen den Anschein von Zusammengehörigkeit zu verleihen. Der Schein mag durchaus trügen. Mir blieb nur die Kapitulation vor der Fülle rein spekulativer Deutungsmöglichkeiten.

Footnotes

  1. Siehe hierzu auch aus der Sendereihe „Museum exklusiv“ auf YouTube des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle/Saale mit dem Titel: „Das Steinkammergrab von Göhlitzsch“ vom 18.05.2021 sowie ergänzend die Fotoabbildung unter: https://st.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=11139. Back to footnote
  2. Die Grafik zeigt eine vereinfachte, unvollständige Nachbildung zur Verdeutlichung der Größenrelationen und des ikonografischen Arrangements der Bildelemente auf der göhlitzscher Bogenplatte. Grafiken und Beschreibungen zu allen sechs Wandplatten finden sich unter anderem bei Detlef W. Müller in: „Petroglyphen aus mittelneolithischen Gräbern von Sachsen-Anhalt“, in K. W. Beinhauer, G. Cooney, C. E. Guksch u. S. Kus (Hrsg.): „Studien zur Megalithik – Forschungsstand und ethnoarchäologische Perspektiven“, Beier & Beran, Mannheim/Weisbach 1999, S. 199 – 214.
    Vergleiche auch online Farbfoto des Landesmuseums Halle von Juraj Lipták unter:
    https://st.museum-digital.de/data/san/images/201406/12175317954.jpg oder das Schwarz-Weiß-Foto mit besserer Zoommöglichkeit unter https://de.wikipedia.org/wiki/Steinkammer_von_Göhlitzsch#/media/Datei:Schuchhardt_Grabplatte_von_Göhlitzsch.jpg (Beide zuletzt eingesehen: 02.08.2025 Back to footnote
  3. Sekundär nach E. Probst: „Deutschland in der Steinzeit“, Bertelsmann, München 1991, S. 400 re. Sp. Back to footnote
  4. Für die Auslegung des Sinnbildes, als jährliche Sonnenverlagerung ober- und unterhalb des Himmelsäquators, sehe ich keine Rechtfertigung. Dann wäre ober- u. unterhalb der „Sehne“ eine symmetrische Kurvenverteilung zu erwarten gewesen.]) Abb. 4: Der jährliche “Sonnenbogen“ über der vierfachen Jahresteilung, schematisch erläutert.
    Das doppelte Dreieckslaschenband am recht Rand bedeutet: „Anschluss“, vermutlich im Sinne von Jahresbeginn und -ende, die damit auf dem Termin der Wintersonnenwende gelegen haben dürften. Auffällig: Die Linienführung von Bogen und Sehne zeigt am Orignal keinerlei Differenzierung in der Stärke. Es ist also kein Bogen im materiellen Sinne dargestellt, sondern ein Prinzip in Form eines Bogens! Als Ausstattungselement in einer Grabkiste darf eventuell angenommen werden, dass der kosmische Jahreskreislauf der Lichter bereits als kontinuierlicher Kreislauf durch Ober- und Unterwelt begriffen wurde. Ähnliche Vorstellungen vom Kreislauf des Lichts durch Ober- und Unterwelt entwickelten etwa zeitgleich auch die Ägypter mit ihrem Sonnengott Re, der nachts in die Unterwelt abstieg. Die Differenzierung im “Wandbehang“ mit wechselnd horizontaler und vertikaler Ausrichtung der Zickzackmuster (engl.: chevrons) diente dabei allein dem Zweck, diese vier Zeiteinheiten als solche zu symbolisieren und sie zugleich bildhaft voneinander differenzieren zu können. Der „imitierte Wandbehang“ ist demnach eine Bildparabel. Ein Ideogramm für vier relativ gleich lange, zusammen jedoch ein Ganzes bildende Zeitintervalle. Wobei die Imitation von Tuch-, Leder- oder Rindenbahnen als Informationsträger bereits als eigenständiges Gleichnis zu werten ist, wie sich gleich zeigen wird. Grundlegend für das Verständnis prähistorischer Bilder aus megalithischer Zeit in Europa scheint mir jedoch die Deutung von chevrons als Sinnbild von Zeit im Sinne von “Zeitfluss“ im allgemeineren Sinne. Auffällig an der Darstellung des Reflexbogens ist seine komplett stilisierte Ausführung. Bogen und Sehne sind im Grunde eine durchgängige Linie, ohne Stärkenwechsel oder Dopplung. Hätte der Graveur die Absicht gehabt, den Bogen als gegenständliches Utensil, als imitierte Grabbeigabe darzustellen, hätte er diesen sicher deutlich dicker graviert als die Sehne bzw. mit zwei parallelen Strichen dessen Körperlichkeit angedeutet. Jedenfalls verfuhr er so bei der Axtdarstellung gegenüber. Hier geht es folglich nicht um den Bogen als solchen! Die einheitliche Linienführung mit ihrer durchgängigen Rotfärbung ist wieder nur eine Metapher, die das Bogenprinzip lediglich zur Versinnbildlichung einer gänzlich anderen Information nutzt – für das Prinzip des jährlichen Sonnenlaufs. Der Bogen symbolisiert die jahreszeitlich bedingten Phasen des Sonnenlaufs auf der nördlichen und der südlichen Himmelshälfte. Welche die Sehne als symbolisierte Ost-Westachse des Horizontkreises sinngemäß halbiert. Oberhalb derselben finden sich die hohen sommerlichen Tagbögen der Sonne symbolisiert, unterhalb deren flache Winterbögen, die für die typisch kurzen Wintertage sorgen. Beide Bogen- und Sehnenenden, bzw. deren Übergänge entsprechen dem winterlichen Solstitium (lat.: Sonnenstillstand). Der rechte Wurfarm (engl.: recurve) versinnbildlicht das Quartal zwischen Wintersonnenwende und Frühlingsbeginn, der linke Wurfarm jenes zwischen Herbstbeginn und erneuter Wintersonnenwende. Die Kreuzungspunkte des Bogens mit der Sehne entsprechen rechts der Frühlings- und links der Herbst-Tag-und-Nachtgleiche. Das bestätigen prinzipiell die Koinzidenzen der drei Bogenpunkte mit den Trennungen des Wandbehangs darunter. Die erste „Naht“ des Wandbehanges befindet sich, von rechts beginnend, unter dem Frühlingspunkt des Bogens. Die Doppelnaht krönt hier eine pfeilförmig aufwärts weisende Spitze. Sie lässt sich mit der Bedeutung von: „aufsteigen“, „wachsen“, „sprießen“, „zunehmen“, „aufrichten“, „größer werden“ interpretieren. Auf den Reflexbogen als Metapher des Sonnenlaufs bezogen, bedeutet das einerseits, die Ost-Westachse von unten nach oben, d. h. von Süd nach Nord zu durchstoßen. Die zweite „Naht“ verläuft vertikal genau unter der Mitte des Hauptbogens. Hier endet das Frühlingsquartal und der Sommer beginnt. Die dritte „Naht“ folgt unter dem Herbstpunkt des Bogens, wo der Abschnitt „Sommer“ endet und das vierte Quartal des Jahres beginnt. Das düstere Finale, mit dem gleichnishaften ‘Tod‘ des Lichts im alten Jahr am Vorabend der längsten Nacht des Jahres, unmittelbar vor dem Termin der Wintersonnenwende, dürfen wir abschließend am linken Bogenende konstatieren. Gemäß der eingänglichen Auslegung der vertikalen Winkelleiste am rechten Bogenende, von mir als doppeltes ‘Dreieckslaschenband‘ interpretiert, das wörtlich für: „Anschluss“ oder „Fortsetzung“ stehen dürfte, müsste man dorthin, zum Ausgangspunkt der Betrachtung zurückkehren, um mit dem nächsten Jahr fortzufahren. Wobei anzumerken bleibt, dass sich aus der Symbolik des Reflexbogens nicht, wie hier von mir unterschwellig suggeriert, eine 365-tägige Jahresrechnung ableiten lässt. Die leicht gerundeten Übergänge zwischen Sehne und Bogen könnten vielleicht eher dem Wissen um die mehrtägige, scheinbare Stillstandsphase der Sonnenbewegung am Horizont in den Tagen um die Wintersonnenwende geschuldet gewesen sein. Genauso, wie ja auch der Hauptbogen keinen zentralen Pik als konkrete Markierung der Jahresmitte mit dem sommerlichen Sonnenwendtag erkennen lässt. Die vorstehend erläuterte These, die neolithische Gravur des Reflexbogens symbolisiert die Richtungsverlagerung und die variierenden Tagbögen der Sonne im Jahreslauf dürfte sich recht weitgehend mit der Absicht des jungsteinzeitlichen Graveurs decken. Ob sich allerdings mehr dahinter verbirgt, etwa eine präzodiakale oder gar präekliptikale Grundidee, steht auf einem ganz anderen Blatt. In jedem Fall suggeriert die quasi Endlosschleife der Linienführung des Bogens die Idee vom kompletten Kreislauf des kosmischen Lichtertanzes, insbesondere jenem der Sonne. Die Wiedergabe in einem Grab scheint dabei die jenseitige Welt in diese Kreisläufe einzubeziehen. Da fragt man sich unwillkürlich schon, ob die Steinkiste überhaupt für eine Bestattung gedacht war? Könnte sie mit der unterweltlichen Inszenierung vielleicht rein kultisch-kosmologische Bedeutung besessen haben? Im Sinne einer magischen Sicherung der kosmischen Kreisläufe des Lichts bzw. der diese lenkenden Mächte durch die gefahrenreiche Unterwelt? Wie aber passen die übrigen Symbole der Platte zu dieser bildlichen Allegorie vom Jahreslauf der Sonne? Als erstes will ich unmittelbar da anschließen, wo wir eben aufgehört haben, beim doppelten Dreieckslaschenband am rechten Bildrand. Es symbolisiert naheliegend so viel wie „Verbindung“, „Anschluss“. Was ich zunächst nur als fixe Idee ersonnen hatte, entpuppte sich bei eingehenderer Betrachtung als nachhaltiger Interpretationsansatz. Der jungsteinzeitliche Bildautor, der selbstredend das “Laschenband“ bewusst integriert hatte, wollte womöglich einer sehr speziellen Idee Ausdruck verleihen: Die gedankliche Verbindung der beiden Enden des “Wandbehanges“ zu einer Rolle, durch Verkleben oder Vernähen der Laschen im Inneren der Rolle. Es entstünde ein vertikaler Rotationszylinder der vier Jahreszeiten, ohne Anfang und ohne Ende. Eine immerwährend rotierende ‘Jahresrolle‘ mit der imaginären Allachse als Rotationszentrum. Gleichsam die ewig mahlende “Mühle“ der Zeit durch unablässige Himmelsdrehung. Diese Deutung der rechten vertikalen, doppelten Winkelreihe als zu verklebende oder zu vernähende Leder- oder Leinenlaschen bietet eine überraschende Erklärungsmöglichkeit für das kleine, am Kopfende abgewinkelte Objekt, das als einziges auf dieser Steinplatte flächig zwischen Bogen und Pfeilköcher graviert wurde. Der Prähistoriker Detlef W. Müller bezeichnete es als „Haken“.[(Detlef W. Müller: „Petroglyphen aus mittelneolithischen Gräbern von Sachsen-Anhalt“, S. 201 re. Sp. u., in: „Studien zur Megalithik – Forschungsstand und ethnoarchäologische Perspektiven“, hrsg. v. K. W. Beinhauer, G. Cooney, C. E. Guksch u. S. Kus, Mannheim/Weisbach 1999, SS. 199 – 214. Back to footnote

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