
Die dekorierten salzmünder Steinäxte ähneln ihrer Form nach flachen Hammeräxten, waren als solche aber keineswegs in der Praxis zu gebrauchen. (Siehe Foto unter: https://st.museum-digital.de/object/36689) Die Längen der Äxte variieren teils beträchtlich. Was kürzere Exemplare plumper, längere zierlicher erscheinen lässt. Handwerklich sind die Steinäxte zum Teil exzellent ausgeführt. Sie wurden sämtlich sorgfältig geschliffen, mit leichten Rundungen der Oberflächen, teils variierenden Stärken zwischen Schneidenteil, Mittelteil und Nacken, poliert oder sogar hochglanzpoliert. Perfekt erhaltene, hochglanzpolierte Exemplare wirken, als seien sie gerade eben vom Steinmetz geliefert worden. Andere zeugen mit deutlich angegriffenen Oberflächen und teils zerstörtem Dekor von langanhaltender Verwitterung in ungeschützter Lage an der Erdoberfläche.
Die eingravierten Zeichen auf den grauen und schwarzen Äxten wurden in der Regel durch weiße Inkrustation hervorgehoben. Mit wenigen Ausnahmen zieren bei sämtlichen bekannten Exemplaren und Bruchstücken umlaufend drei sorgsam parallel angelegte Rillen die flacheren Wangen. In einem Fall sind es vier Rillen. Ein weiterer Fall, die Axt von Weißenfels, kommt völlig ohne Wangenrillen daher.
Anders als die typischen, auch in den Gruppen der Trichterbecherkulturen für den praktischen und kultischen Gebrauch üblichen spitz-, rund- oder flachnackigen Steinbeilklingen, entsprechen die dekorierten Stücke sächsischen Typs, wie gesagt, flachen Hammeräxten. Grund für diese Form mag, neben ihrer Eignung für flächiges Dekor, vor allem die für eine Schaftlochbohrung gewesen sein. Seltsamerweise sind die Bohrungen, was einigermaßen paradox klingt, für die Aufnahme von Schäften suboptimal. Dazu heißt es bei Torsten Schunke in: „Die Salzmünder Kultur – eine außergewöhnliche Steinzeitkultur in Mitteleuropa“: „Aufgrund des im Vergleich zum Gesamtgewicht sehr kleinen Schaftloches ist bei einigen Exemplaren sicher, dass diese Geräte nicht für einen Einsatz als Arbeitsgerät oder Waffe tauglich waren.“1 Die Bohrung erfolgte, nach Darstellungen bei Otto Friedrich Gandert, üblicherweise von den Deckseiten der Äxte her mit Hohlbohrern.2 Wobei als Deckseite die mit dem Dekor, bei beidseitiger Verzierung, die mit aufwändigerem Dekor gilt. Mutmaßlich durch den äußeren Abrieb des Bohrers während des Bohrprozesses verringerte sich nach Darstellung bei Gandert der Lochdurchmesser in Richtung Unterseite um zwei, drei Millimeter.
Auf einem entsprechend geformten, sich abwärts leicht verjüngendem Schaft würden die Axtköpfe also gar nicht halten. Sie würden einfach am Stiel herabrutschen. Es sei denn man trieb einen Stift oder Keil unmittelbar unter dem Axtkopf quer durch den Schaft, klebte den Schaft mit Birkenpech ein oder setzte den Schaft am oberen Ende zapfenartig mit dünnerem Durchmesser ab. Ferner findet sich bei einigen Exemplaren, gerade bei den längeren Stücken, das Schaftloch deutlich oberhalb des Schwerezentrums der Axt. Trug man diese Äxte locker über die Schulter gelegt, würde das längere, schwere Ende stets nach unten weisen. Was für jemanden im Rücken des Trägers das Axtbild der Schau- oder Deckseite in der korrekten Ausrichtung mit der Axtspitze nach unten sichtbar gemacht hätte. Führten vielleicht die Träger der dekorierten Steinäxte bei den Salzmündern grundsätzlich Prozessionen an, gefolgt vom einfachen Volk, dass die “magischen” Zeichen bestaunen durfte?
Bei der möglichen Schäftung der Äxte blieb allerdings die Bruchgefahr aufgrund der relativ schmalen Wandstege beiderseits des Schaftloches zu beachten. Eine zu starke Pressung bei der Schäftung oder beim Einschlagen eines Keils in den geschlitzen Zapfen hätten viele Monate, wenn nicht Jahre sorgsamer Planung und Fertigung komplett zunichte gemacht. Einige Funde entsprechender Bruchteile belegen, dass dieses Risiko sehr real war. Bei den nachfolgenden Schnurkeramikern, die ähnliche Hammeräxte auch als Werkzeuge und Waffen nutzten, war der Bereich um das Schaftloch meist verdickt. So ergab sich eher eine rautenähnliche Form, welche das Bruchrisiko am Schaftloch verminderte.
Allerdings lässt sich nicht ausschließen, dass die dekorierten Steinäxte der Salzmünder mit den relativ kleinen Schaftbohrungen ungeschäftet blieben. Besaßen die relativ engen Bohrungen vielleicht eher augenmagische Funktion? Eine Spekulation, die sich wegen der generell mandel- oder eben augenförmigen Axtform mit stets rundem Nacken aufdrängt. Lag vielleicht darin die Wahl der Hammeräxte statt der sonst in der Megalithkultur verbreitet üblichen, spitz- oder rundnackigen Flachbeile ohne Bohrung? Müssen die dekorierten Steinäxte der Salzmünder vielleicht eher als magische „Augenbeile“ denn als Äxte eingeordnet werden? Galten sie ihren Trägern, die diese Objekte mit ins Grab nahmen, als apotropäisches Amulett, um sich in der jenseitigen Welt, mit der vermeintlich in den Zeichen steckenden Magie, böser Mächte erwehren zu können? Wollten die Axträger die Mächte des Schattenreiches mit dem auf den Äxten verewigten Wissen gar beherrschen oder wenigstens manipulieren?
Vorwegnehmend stehen die dekorierten salzmünder Steinäxte ihrem “Dekor” nach wohl komplett mit dem Phänomen der Finsternisse in Bezug. Könnte in diesem Zusammenhang der sogenannte “böse Blick” eine Rolle in den damaligen Vorstellungen der Menschen gespielt haben? Sah man in den kosmischen Verfinsterungen – ähnlich, wie etwa zeitgleich die Ägypter am Nil – das Agieren eines gigantischen kosmischen Stiers, dessen wutentbranntes rotes Auge (Mondfinsternis) oder schwarzes, von flammenden Wimpern umkränztes Auge (totale Sonnenfinsternis mit Sonnenkorona) vom Himmel auf die Menschen herabdräute? Immerhin verbanden die Menschen in Europa bzw. die Megalithkulturen die kosmischen Licht- und Schattenbewegungen ebenso mit imaginären Rindern wie mit dem Totenreich. Unzweifelhaft belegt mit den stark stilisierten Rindergravuren in den Galeriegräbern der den Salzmündern zeitlich im Westen direkt benachbarten Menschen der Wartbergkultur (Siehe dazu Kapt. V.)
Auf einigen Äxten erhebt sich immerhin der vage Verdacht, Strichreihen entlang der augenförmigen Axtperipherie bzw. kranzartig um das runde Schaftloch angeordnete Striche seien neben ihrer numerischen Bedeutung und neben ihrer Strahlensymbolik zumindest hintergründig auch als Wimpern konzipiert. Für eine vertretbare Einschätzung, ob wir es hier tatsächlich mit augenmagischer Symbolik zu tun haben können, fehlen mir allerdings Vergleichsmöglichkeiten aus dem europäischen Neolithikum. In den östlichen Hochkulturen scheint dagegen dergleichen schon im 5. Jt. v. Chr. verbreitet gewesen. Ich kann hier lediglich die Vermutung einer augenmagischen Bedeutung der Äxte zur wissenschaftlichen Prüfung aufwerfen, meinen Verdacht an geeigneter Stelle begründen und hoffen, entsprechende Forschungen anzuregen.
Vielleicht nicht gänzlich abwegig ist die Idee, in das meist um zwei Zentimeter messende “Axtauge” zu entsprechenden kultischen Anlässen eine passende, rötlich durchscheinende Bernsteinperle einzusetzen. Die, hinterleuchtet, als Symbolik für das magisch funkelnde, zornrote, kosmische “Bull’s Eye” diente, das man vielleicht im “Blutmond” einer totalen Mondfinsternis sah. Exemplare mit peripheren Strichgruppen oder Strahlenkränzen um das Schaftloch, beispielsweise die Axt von Günzerode (Siehe Abb. 1.), mögen dazu passend einen “Wimpernkranz” um das “Bull’s Eye” gebildet haben.
Footnotes
- Torsten Schunke in: „Die Salzmünder Kultur – eine außergewöhnliche Steinzeitkultur in Mitteleuropa“, S. 246-256 in: Harald Meller (Hrsg.): „3300 B.C. – Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt“, Sonderausstellung vom 14. November 2013 bis 18. Mai 2014 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, S. 254.
- Otto Friedrich Gandert: „Funde reichverzierter Steinäxte vom sächsischen Typ“, S. 38, in: „Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringen Länder“, Bd. XV, Halle 1927, S. 37-42, Hrsg.: Landesanstalt für Vorgeschichte Halle.
